Die Maschine läuft - Vietnam zwischen Boom und Zensur
14.02.2007

Es ist ein merkwürdiges Gespräch mit Nguyen Minh Thanh. Irgendetwas ist anders als bei
den meisten anderen Menschen, die ich in Hanoi getroffen habe. Erst nach einer Weile
fällt esmir auf: Minh Thanh lächelt kaum. Dabei hat Höflichkeit in Vietnam sonst höchste
Priorität. Es wird immer gelächelt, immer genickt und niemals irgendetwas wirklich
verneint. Aber Minh Thanh ist anders. Er guckt meiner Kollegin und mir starr in die Augen, wirkt hochkonzentriert und raucht beinahe beiläufig eine Zigarette nach der anderen. Seine Augen sind tief braunselbst bis an den äußersten Rand der Iris- und man sieht
in ihnen genau, in welchen Momenten es Minh Thanh innerlich zerwühlt. „Es ist alles so dumm. Die Leute, ihre Kunst, ihre Gehirne. Alles.“, platzt es aus ihm heraus. „Ich würde sterben, wenn ich so sein müsste wie sie.“
Minh Thanh ist Künstler. Aber er unterscheidet sich von der großen Mehrheit seiner
Kollegen in Vietnam durch eine Eigenschaft: Mut. Den Mut kritisch zu sein. Den Mut
anders zu sein. Den Mut für seine Kunst zu kämpfen.
Eine unabhängige Künstlerszene gibt es in Hanoi nur im Untergrund. Getroffen wird sich
meist in Privathäusern. Dort ist oftmals auch der einzige Ort, an dem die Künstler die
Möglichkeit haben, ihre Werke zu zeigen. Für öffentliche Ausstellungen benötigen sie eine
Genehmigung des vietnamesischen Informationsministeriums; doch die duldet nur, was
unkritisch ist und sich in positiver Weise mit dem Staat und dem System auseinander
setzt. „Alles, was keine altmodische Kommunistenpropaganda ist, hat keine Chance“, stellt
Minh Thanh trocken fest. Er und seine Freunde haben es längst aufgegeben noch nach
den offiziellen Genehmigungen zu fragen. „Es bringt nichts, solange du dich nicht an die
eine eiserne Regel hältst: Berühre nicht den Kommunismus und nicht die Politik!“, erklärt
Minh Thanh. Vietnam wird von der Kommunistischen Partei regiert. Freie Wahlen gibt es de facto nicht. Eine politische Opposition erst recht nicht. Die Legitimation der Regierung ist ganz simpel: der ökonomische Aufschwung. Von den Zuwachsraten der vietnamesischen
Wirtschaft können die Industrienationen des Westens nur träumen. Den Menschen geht es von Jahr zu Jahr spürbar besser. Wenn in jedem Haushalt ein Fernseher läuft, wenn in jeder Jackentasche ein Handy klingelt, fragt niemand mehr nach unterdrückten Künstlern. Die staatliche Kontrolle hat freie Hand in dem 84-Millionen-Einwohnerstaat am Pazifischen Ozean. Wo sich Widerstand regt, greift sie schnell und effektiv. Die Polizei darf ohne konkrete Begründung Kunstwerke konfiszieren, abändern oder gar zerstören. „Du kannst machen, was du willst und sie brauchen noch nicht mal eine Erklärung, um deine ganze Arbeit zu Nichte zu machen“, erklärt Minh Thanh bevor er eine weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette nimmt.
Ins Fadenkreuz der vietnamesischen Behörden ist im vergangenen Jahr auch Minh Thans
Freund und Partner Truong Tan geraten. Seine Installation mit dem poetischen Namen
„Hidden Beauty“ wäre dabei beinahe zur Belastungsprobe für die deutschvietnamesischen
Beziehungen geworden. In Kooperation mit der University of Fine Arts
Hanoi und dem Viet Art Centre holte das Goethe-Institut die Ausstellung „Come in“ in die
vietnamesische Hauptstadt. Hier zeigten 18 deutsche Designer im Auftrag des deutschen
Instituts für Auslandsbeziehungen „ifa“ ihre selbst entworfenen Möbelstücke. Zusätzlich
waren auch zwei vietnamesische Künstler geladen, an der Ausstellung zu partizipieren.
Einer von ihnen war Truong Tan mit seiner „Hidden Beauty“. Das Problem dabei: die
überdimensionale Windel aus Polizeiuniformen stieß bei den vietnamesischen Behörden
nur auf wenig Begeisterung. Bereits im Vorfeld legten diese ihr Veto ein. Zunächst
beugten sich weder das ifa, das Goethe-Institut noch die vietnamesischen Partner dem
Druck. Doch bereits am 11. Januar 2006, eine Tag nach der Eröffnung, ließ das
Kuratorium die „Hidden Beauty“ entfernen. Somit war die „Schönheit“ dann tatsächlich vor
der breiten Masse „versteckt“. Auch wenn dies nicht im Sinne des Künstlers sein konnte,
eine Chance sich zu wehren, hatte Tan nicht.
Einen Partner im Kampf gegen die Zensur haben die unabhängigen Künstler Vietnams
jedoch- etwas überraschend vielleicht- im Goethe-Institut gefunden. Dieses hat sich vor
seinem Umzug in den neuen Sitz im Viertel Ba Dinh von der vietnamesischen Regierung einen zensurfreien Ausstellungsraum zusichern lassen. „Damit verfügen wir über den einzigen Ort in ganz Vietnam, an dem die staatlichen Kontrollmechanismen nicht greifen“, erklärt der stellvertretende Direktor der Hanoier Außenstelle, Dr. Paul Weinig. Zwar gab es seitdem regelmäßig heftige Kritik durch die örtlichen Behörden, die teilweise bis zu Drohungen gegen einzelne vietnamesische Mitarbeiter des Institutes gingen, aber davon wollte man sich keineswegs unter Druck setzen lassen. „Die Zensur ist die letzte Bastion der Partei, ansonsten haben sie viel an Einfluss verloren“, versichert Weinig mit einem selbstbewussten Blick durch seine kreisrunden Brillengläser.
Mit seinem gut sitzenden Frack, der klassischen Brille und der eng gebundenen Fliege ist
Paul Weinig das das erträumte Abbild eines modernen Kolonialherren. Mit großen Gesten
empfängt er seine Besucher am Eingang des beeindruckenden französischen Art-Deco-
Hauses, in dem sich das Hanoier Goethe-Institut seit 2002 befindet. Gerne spricht er über
die deutsche Aufbauhilfe, die Stipendien für hochbegabte junge Vietnamesen oder die
florierenden Wirtschaftsbeziehungen. Aber auch über Zensur, Korruption und soziale
Missstände. Besonders im Journalismus sieht Weinig noch deutlichen Nachholbedarf:
„Hier sind die Wege noch längst nicht so frei, wie wir uns das wünschen. Es fehlt einfach
völlig an einer unabhängigen Presse.“ Als großen Sieg für seine Einrichtung empfindet der
stellvertretende Direktor hingegen die Inszenierung des Dürrenmatt Stückes „Der Besuch
der alten Dame“: „Nach über drei Jahren Diskussion mit den zuständigen Behörden
gelang es uns, das Stück durch die Zensur zu kriegen und in Hanoi und Ho-Chi-Minh-
Stadt aufzuführen.“
Was Weinig dabei gerne verschweigt: Um die nötigen Auflagen zu erfüllen, musste das
Goethe-Institut mitunter erhebliche Kompromisse eingehen. Das Informationsministerium
lehnte sowohl die ursprünglich vorgesehenen Darsteller als auch die neue Übersetzung
des Stückes ab.
Mit Letzterer hatte das Goethe-Institut Pham Thi Hoai beauftragt. Die vietnamesische
Schriftstellerin hatte das Werk Dürrenmatts vollständig in die Gesellschaft ihres
Heimatlandes übertragen und dem Stück somit eine neue Richtung gegeben. Dieses ließ
sich nun problemlos als Kritik an den Strukturen des heutigen Vietnams verstehen. Das
war zuviel für die Behörden in Hanoi und führte zu einer einstweiligen Einstellung des
Projektes. Erst mit einer wortgetreuen Übersetzung des Originals durfte das Stück doch
noch aufgeführt werden.
Für Hoai war dies nur ein kleiner Rückschlag. Gehört sie als Chefredakteurin von
talawas.org doch zu den bedeutendsten unabhängigen Journalisten und Intellektuellen
des Landes. Seit über einem Jahrzehnt stellt die Wahlberlinerin pünktlich um null Uhr
Nacht für Nacht eine neue Ausgabe ihres Magazins online. Mit einen weltweiten Netzwerk
aus Mitarbeitern sammelt sie täglich die wichtigsten Nachrichten, überträgt diese in ihre
Muttersprache und veröffentlicht sie im Internet. Manchmal kritisch, manchmal banal, aber
immer interessant. Dabei machen Hoai und ihr Team auch vor schwierigen Themen nicht
halt: Homosexualität ist in Südostasien immer noch ein Tabu, bei talawas.org hingegen
schon lange nicht mehr. Mittlerweile lesen täglich mehrere Zehntausend Vietnamesen das
Magazin. Der offene Umgang mit Problemen und Kritik waren dem Informationsministerium in Hanoi aber schnell ein Dorn im Auge. Bereits seit 2004 lässt sich die Seite im Inland nicht mehr finden. Die Verteilung innerhalb Vietnams läuft mittlerweile über Newsletter oder versteckte Links.
Die staatlichen Medien selbst zeigen wenig Verständnis für die an ihnen geübte Kritik. Auf
die Frage nach Zensur antwortet Le Ngoc Boi, stellvertretender Chefredakteur der „Tien
Phong“, freundlich aber bestimmt: „Das ist seit dem Rückzug der Franzosen 1954 absolut
kein Thema mehr in Vietnam.“ Weitere Nachfragen überhört Boi scheinbar. Er spricht
stattdessen über die erfolgreiche Aufdeckung von Korruptionsskandalen durch seine
Zeitung, Vietnams auflagenstärkstem Jugendmagazin. Immer wieder betont er dabei die
völlige Unabhängigkeit der „Tien Phong“ von allen staatlichen Instanzen. „Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Landes“, versichert Boi. Was er dabei jedoch verschweigt, sind die obligatorischen Montagssitzungen. Seit den Siebziger Jahren müssen alle Chefredakteure des Landes zu Wochenbeginn zu einem Meeting ins
Informationsministerium kommen. Dort wird von ranghohen Parteikadern verkündet, über welche Themen weiterhin berichtet werden darf und über welche nicht. So kann zum Beispiel ein wochenlang in allen Medien diskutierter Korruptionsfall ab dem folgenden Dienstag in keiner Zeitung mehr zu finden sein. Bei solch einer Sitzung wurde an einem Montag im Jahre 2004 auch die Sperrung von talawas.org im gesamten vietnamesischen Raum beschlossen.
Aber gerade im Internet befürworten viele Vietnamesen eine staatliche Kontrolle. „Die
Regierung muss die schlechten Seiten kontrollieren, damit die Jugendlichen sie nicht
lesen können“, erklärt Dinh Thuy Linh mit ernster Miene. Die 24-jährige Studentin nutzt
das Worldwide Web zwar regelmäßig, um sich über aktuelle Geschehnisse zu informieren.
Gleichzeitig gibt sie aber auch zu, „sich zwar für Politik zu interessieren, aber trotzdem viel
zu wenig darüber zu wissen“.
Diesen Mangel an politischem Denken empfindet Minh Thanh als allgemeines Problem in
der vietnamesischen Gesellschaft: „Die Leute sehen zwar die Wahrheit, aber sie sie
weigern sich, darüber zu sprechen. Der persönliche wirtschaftliche Erfolg ist ihnen
wichtiger.“ Dass die Leute trotzdem glücklich sind, glauben er und viele seiner Freunde
nicht.
Auch Nguyen Minh Phuoc zweifelt an diesem oberflächlichen Glück. Im Schatten der
prunkvollen Oper im Hanoier Zentrum hat der 33-jährige Künstler seine „Ryllega Gallery“
eröffnet. Bis vor kurzem noch war der kleine Raum eine ungenutzte Garage. Minh Phoc
hat ihn in einen Ort verwandelt, an dem aufstrebende Kunstschaffende ihre Werke zeigen
können. Die Kosten dafür trägt er allein. Es ist seine „Art, den Künstlern vor Ort etwas
zurückzugeben“. Im Februar diesen Jahres hat Minh Phuoc den Raum allerdings nur für
seinen „Phoenix & Dragon Dream“ reserviert.
Der große Andrang bei der Vernissage ist erstaunlich. Die Gäste nehmen nicht nur die
Gallerie sondern auch das Gelände rundherum ein. Überall auf dem Bürgersteig stehen
junge Menschen mit Bier und Cola. Es wird so viel geredet, dass die Ausstellung fast zur
Nebensache wird. Beinahe die Hälfte der Leute sind Ausländer. Befreundete Künstler,
Journalisten oder interessierte Touristen, die zufällig von der Eröffnung gehört haben. Die
gezeigte Installation erklärt sich den Meisten jedoch nicht auf den ersten Blick. Die riesigen
Plastikscheiben, die von der Decke hängen, bilden einen traditionellen asiatischen
Drachen. Von jedem der einzelnen Glieder blicken vietnamesische Gesichter auf die
Betrachter. Eines haben alle diese Porträts gemeinsam: Traurigkeit. Die Augen wirken
leer, die Mimik erschlafft. „Geh auf den Markt, geh in die Häuser, überall siehst du sie: all
die unglücklichen Menschen“, erklärt Minh Phuoc den fragenden Besuchern sein Werk. An
den Wänden der Galerie kleben Dutzende von Zeitungsausschnitten. Die Themen:
Gewalt, Korruption, Verbrechen. Warum die Probleme im Land so groß seien, fragt eine
junge Deutsche. „Weil die Leute hier nichts haben, woran sie wirklich glauben können“,
antwortet Minh Phuoc nach kurzem Zögern.
Ganz so pessimistisch sieht Minh Thanh die Situation seiner Heimat nicht: „Es ist bereits
wesentlich besser als früher. Das Land ist offen. Wir sind nicht mehr allein.“ Auch beteuert
er, müsse er für seine kritische Kunst keine persönlichen Repressalien befürchten. „Die
Zensur betrifft nur unsere Werke, nicht uns als Personen“, betont Minh Thanh immer
wieder. Doch umso länger er und Truong Tan über ihre Erfahrungen sprechen, desto mehr
zeichnen sie ein gegensätzliches Bild. Tan erzählt in einem Nebensatz, wie er von einer
Gruppe unbekannter Männer durch die Straßen verfolgt wurde und erst in einem dunklen
Hauseingang verstecken ein sicheres Versteck fand. Auch berichtet er von heimlichen
Wohnungsdurchsuchungen, bei denen Laptops und Notizbücher entwendet wurden.
Doch von Resignation sind die beiden weit entfernt. Vietnams Wirtschaft boomt. Der neue
Wohlstand verändert auch die Gesellschaft. Eine Demokratisierung des Landes ist für
Minh Thanh nur noch eine Frage der Zeit: „Die da oben können das nicht mehr aufhalten.
Die Maschine läuft und läuft.“ Gerade in den Großstädten richtet sich der Blick der
Menschen immer mehr gen Europa. Mit der Mode und der Musik kommt langsam eine
neue Wahrnehmung nach Vietnam. „In zehn bis fünfzehn Jahren haben die Kommunisten
ausgedient“, versichert Minh Thanh fast ein bisschen euphorisch.
Bis dahin liegt noch ein harter Weg vor den unbeugsamen Künstlern. Doch die Veränderung
scheint jetzt bereits greifbar. Allein schon deshalb können sich die Beiden nicht vorstellen, Hanoi zu verlassen. Tan lebte bereits sieben Jahre in Paris. Dort
hatte er alles, was ihm in Hanoi bisher versagt blieb: künstlerische Unabhängigkeit, finanzieller Erfolg, persönliche Freiheit. Doch vor einem Jahr brach er alles ab. „Ich konnte nicht bleiben. Es war nicht in meinem Blut. Ich musste nach Hause.“


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